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Sammlung

»Den Zusammenhang aber müssen Sie selbst entdecken. Wer es nicht findet, dem hilft es auch nichts, wenn man es ihm sagt.«

(Goethe)

Themen im Vortragswerk

 

Das gedruckte Werk Rudolf Steiners umfasst in seiner bisher erschienenen Form rund 350 Bände, wovon ca. 300 Bände Mitschriften von über 6.000 Vorträgen enthalten, die in einem Zeitraum von rund 21 Jahren gehalten wurden (1903/04-24). Steiner sprach an vielen Orten vor vielen verschiedenen Menschen und behandelte eine Vielzahl von Themen. Themenspezifische Darstellungen ziehen sich oftmals ohne einfach erkennbare Systematik über Jahre hinweg durch das Vortragswerk. Zwar sind Steiners einzelne Vorträge und Texte so gehalten, dass man sich bei intensiver Beschäftigung in große Tiefen vorarbeiten kann. Dennoch erfährt man immer wieder bedeutende Erweiterungen des Verständnisses, wenn man andere Darstellungen hinzunimmt. Rudolf Steiner beschrieb eine Welt komplexer geistiger Zusammenhänge, in deren Mittelpunkt das Wesen des Menschen steht. Dabei definierte er seine Begriffe nicht, sondern charakterisierte die geistigen Phänomene unter immer wieder neuen Gesichtspunkten.

Vielfältige Perspektiven

 

»Diejenigen unter Ihnen, die meinen Vorträgen öfter gefolgt sind, werden das Fehlen von beinahe jeglichen Definitionen bemerkt haben. … Wenn man Dinge, die der Wirklichkeit angehören, verstehen will, namentlich Dinge, die der übersinnlichen Wirklichkeit angehören, dann kann man nicht definieren. Da muss man charakterisieren, denn dann ist es notwendig, die Tatsachen und die Wesenheiten von allen Gesichtspunkten aus zu betrachten.«[1]

Die multiperspektivische Schilderung hatte aber auch den Grund, dass sich die verschiedenen Darstellungen gegenseitig beleuchten und tragen sollten: »Wer verkennt, dass in dem Augenblicke, in dem die Wissenschaften in die Anthroposophie einmünden, man zu diesem sich gegenseitigen Stützen und Tragen der Wahrheiten kommen muss, der wird den Weg zur echten Erkenntnis nicht finden. Von den schweren Dingen der Erde gilt, dass sie auf dem Boden liegen müssen, um nicht zu fallen; die Weltkörper tragen sich gegenseitig. Die gebräuchlichen empirischen Wissenschaften ruhen auf der Sinneswahrnehmung; die anthroposophischen Erkenntnisse müssen sich gegenseitig tragen.«[2]

Kaum Wiederholungen

 

So findet man Themen wie die Wesensglieder des Menschen, Reinkarnation und Karma, die kosmischen Entwicklungsstufen der Erde, die Bedeutung des Christus-Ereignisses, die Kulturentwicklungsstufen der Menschheit, die Jahrsiebte der Biographie, die Stufen des übersinnlichen Erkennens, Pädagogik, Medizin, Sozial- und Naturwissenschaft u.v.a.m. wieder und wieder ausgeführt. Erstaunlicherweise hat sich Steiner dabei nur selten vollständig wiederholt - er versah seine Darstellungen mit immer neuen Aspekten und Nuancen.

»Da ich aber überhaupt nicht liebe mich zu wiederholen, so wähle ich heute den anderen Weg. Wer aber weiß, von wie vielen Gesichtspunkten aus man ein Gebiet der Sinneswelt schildern kann, der wird wissen, dass es ganz dasselbe ist, was ich mit andern Worten [an anderer Stelle] charakterisiert habe.«[3]

Aber es gab auch noch andere Gründe für das wiederholte Anführen von Themen: »Ich möchte dazu noch auf etwas aufmerksam machen, aus einer Erfahrung heraus, die ich innerhalb unseres anthroposophischen Lebens recht häufig gemacht habe: dass Dinge, die man einmal sagt, leicht vergessen oder anders erhalten werden, als man sie sagt. … Aus diesem Grunde betone ich manchmal wichtige, wesentliche Dinge ein paarmal, nicht um mich zu wiederholen.«[4]

Eine weitere Schwierigkeit im Verfolgen bestimmter Themenbereiche liegt darin begründet, dass Rudolf Steiner in einzelnen Vorträgen oft eine ganze Reihe verschiedener Themen behandelte. Die Unübersichtlichkeit der vielen verstreuten Darstellungen stellt durchaus ein Problem bei der Erforschung von Steiners Werk und Denken dar. Oft ergibt aber erst ein möglichst vollständiger Überblick ein deutliches Bild seiner Auffassung des jeweiligen Themas.

Zeitliche Entfaltung einzelner Themen

 

Für eine vertiefte Anthroposophie-Forschung ist von Interesse, die zeitliche Entfaltung einzelner Themen im Werk Rudolf Steiners zu verfolgen. Da die  Themen organisch miteinander verbunden sind, ist es für eine werkimmanente Hermeneutik bedeutsam, die Logik und Dynamik ihrer systematischen Entfaltung nachzuvollziehen. Außerdem lassen sich dadurch wichtige Rückschlüsse auf Steiners geistig-biographische Entwicklung gewinnen.

Nachschlagewerke und Stichwortverzeichnisse

Es gibt verschiedene Stichwortverzeichnisse und Datenbanken (Online GA des Rudolf Steiner Verlages [kostenpflichtig], Rudolf Steiner online Archiv, Freie Verwaltung des Nachlasses von Rudolf SteinerSteinerdatenbank). Diese ermöglichen Stichwortsuchen, stellen aber keine inhaltlichen oder systematischen Zusammenhänge zwischen den gefundenen Textstellen her. Bestehende Lexika und Leitfäden (AnthrowikiUrs Schwendener, das umfassende, vierbändige Stichwort und Personenregister von Emil Mötteli, Adolf Arenson, Christian Karl) ermöglichen themenspezifische Orientierung, enthalten aber nur stichwortartige Überblicke und ausgewählte Zitate Steiners. Darüber hinaus findet man bei gründlichem Vorgehen immer wieder themenrelevante Textstellen, die das gesuchte Stichwort gar nicht enthalten.

Im Gegensatz zum Umgang mit einzelnen Zitaten Steiners ermöglicht die systematische Berücksichtigung möglichst vieler relevanter Textstellen, ein Thema im Sinne Goethescher Phänomenologie als geistigen Metamorphose-Zusammenhang zu erfassen. Durch Vollständigkeit werden oft erst die tiefere Bedeutung sowie die Verbindungen mit anderen Themen wirklich deutlich, ja, durch Vollständigkeit wird ein Thema oft erst evident.[5]

Erarbeitung der Zusammenhänge

 

Durch systematische Aufarbeitung können viele Themen aus Rudolf Steiners Werk in ihren weiteren Zusammenhängen erschlossen, dargestellt und vor allem verständlich(er) gemacht werden, Themen, deren Verständnis und Verbreitung die gegenwärtige, nach Spiritualität suchende und zugleich im technischen Materialismus lebende Kultur bedarf. Zitate im Gesamtwerk aufzufinden, zu kategorisieren und abzuspeichern ist dabei nur der erste Schritt. Letzten Endes gilt auch für eine ausgefeilte Werkanalyse der Sinn des oben zitierten Ausspruchs Goethes: Wer die Zusammenhänge nicht im eigenen Erkennen produktiv nachvollzieht, dem nützt es auch nichts, wenn man sie ihm sagt.

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  1. Vorstufen zum Mysterium von Golgatha. GA 152. Dornach 1990, S. 34, 02.05.1913.

  2. Damit der Mensch ganz Mensch werde. GA 082. Dornach 1994, S. 250, 07.05.1922.

  3. Geisteswissenschaft als Lebensgut. GA 063. Dornach 1986, S. 341, 19.03.1914.

  4. Wiederverkörperung und Karma und ihre Bedeutung für die Kultur der Gegenwart. GA 135. Dornach 1989, S. 42, GA 135 30.01.1912.

  5. Vgl. z.B. Christoph Hueck: Intuition - das Auge der Seele. Die Darstellung des intuitiven Erkennens im schriftlichen Werk Rudolf Steiners. Norderstedt 2016 (hier online verfügbar).

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